Die verzerrte Weltkarte – und was sie mit uns zu tun hat
Stell dir unsere Weltkarte von Gerardus Mercator von 1569 vor. Europa im Zentrum, überproportional groß. Afrika? Deutlich kleiner dargestellt, obwohl es flächenmäßig fast dreimal so groß ist. Diese Karte war kein Zufall – sie war Ausdruck eines koloniales Weltbildes, das Macht, Perspektive und Bedeutung verzerrt hat. Und sie wird übrigens noch heute genutzt.
Genau das ist Bias. Und genau deshalb beginnt jedes gute Design mit Bewusstsein.
Diese historische Karte ist ein Sinnbild dafür, wie tief sich Vorurteile und Machtverhältnisse in visuelle Systeme einschreiben können – oft unbemerkt, aber wirkungsvoll. Für alle, die gestalten, kommunizieren oder Systeme entwickeln, ist das ein Weckruf: Bias ist nicht nur ein ethisches Thema – es ist ein Designproblem.
| Region | Tatsächliche Fläche (Mio. km²) | Wirkung auf Mercator-Karte | Verhältnis zur Realität |
|---|---|---|---|
| Afrika | ca. 30,2 | Wirkt ähnlich groß wie Grönland | stark verkleinert |
| Europa | ca. 10,2 | Wirkt fast so groß wie Afrika | stark vergrößert |
| Nordamerika | ca. 24,7 | Wirkt größer als Afrika | leicht vergrößert |
| Südamerika | ca. 17,8 | Wirkt kleiner als Europa | verkleinert |
| Grönland | ca. 2,2 | Wirkt fast so groß wie Afrika | über 13-fach vergrößert |
Wo Bias wirkt – und wie wir ihn erkennen
1. Bias in der Psychologie
- Kognitive Verzerrungen wie Confirmation Bias, Halo-Effekt oder Anchoring beeinflussen unsere Entscheidungen – auch im kreativen Prozess.
- Beispiel: Wir bevorzugen Entwürfe, die unsere eigenen ästhetischen Vorlieben bestätigen, statt sie zu hinterfragen.
2. Bias im Design
- Design ist nie neutral. Jede Entscheidung – von der Schriftart bis zur Bildsprache – transportiert Werte.
- Unconscious Design Bias kann dazu führen, dass bestimmte Zielgruppen ausgeschlossen oder stereotypisiert werden.
3. Bias in der KI
- KI-Systeme übernehmen Verzerrungen aus Trainingsdaten oder durch die Perspektiven ihrer Entwickler:innen.
- Beispiel: Empfehlungsalgorithmen, die Diversität unterdrücken, weil sie auf „Mehr vom Gleichen“ optimiert sind.
Bias im Projektmanagement – besonders in der Design-Phase
Bias ist tückisch, weil er selten laut auftritt. Viel häufiger schleicht er sich durch die Hintertür – als vermeintlich „bewährte Methode“, als „branchenübliche Zielgruppe“ oder als „intuitives Bauchgefühl“. Gerade in der Design-Phase von Projekten ist der Einfluss sozialisierter Perspektiven besonders groß. Wir bringen unsere kulturellen Prägungen, unsere Bildung, unsere Erfahrungen mit – und halten sie unbewusst für universell. Doch was für uns selbstverständlich erscheint, kann für andere ausgrenzend, unverständlich oder sogar verletzend wirken. Wer sich ohne Reflexion in die kreative Arbeit stürzt, läuft Gefahr, bestehende Stereotype zu reproduzieren – nicht aus bösem Willen, sondern aus Gewohnheit. Deshalb braucht gutes Projektmanagement nicht nur Tools und Timelines, sondern auch Haltung und kritisches Denken. Bias zu erkennen heißt, sich selbst zu hinterfragen – und genau darin liegt die eigentliche Designkompetenz.
Die meisten Fehler passieren nicht in der Umsetzung, sondern in der Annahme.
In der frühen Projektphase werden Weichen gestellt: Zielgruppen definiert, Personas entworfen, erste Entwürfe skizziert. Wer hier unreflektierte Annahmen trifft – etwa über „typische Nutzer:innen“ oder „gängige Ästhetik“ – baut Bias direkt in das Fundament des Projekts ein.
Praktisches Beispiel: Ein Team entwickelt eine App für „globale Nutzer:innen“, verwendet aber ausschließlich westliche Designstandards, Farben und Navigationsmuster. Das Ergebnis: ein Produkt, das kulturell nicht anschlussfähig ist – und damit seine eigene Zielgruppe verfehlt.
Lösung:
- Diversität im Team fördern
- Annahmen regelmäßig challengen
- Design-Reviews mit Fokus auf Inklusion
- Nutzer:innen früh und vielfältig einbeziehen
Typische Beispiele in der öffentlichen Verwaltung
Typische Bias in Projekten der öffentlichen Verwaltung in Deutschland entstehen häufig durch institutionelle Routinen, eingeschränkte Perspektiven und politische Rahmenbedingungen. Sie wirken sich auf Zieldefinition, Beteiligung und Umsetzung aus – oft unbemerkt.
1. Status-quo-Bias
- Beschreibung: Bevorzugung bestehender Strukturen und Prozesse, selbst wenn sie ineffizient sind.
- Beispiel: Digitale Lösungen werden abgelehnt, weil „es schon immer so gemacht wurde“.
- Folge: Innovationshemmung und mangelnde Anpassung an gesellschaftliche Veränderungen.
2. Ingroup-Bias
- Beschreibung: Entscheidungen werden aus der Perspektive der eigenen Verwaltungseinheit oder Hierarchieebene getroffen.
- Beispiel: Beteiligung externer Stakeholder (z. B. Bürger:innen, NGOs) wird als Risiko statt als Ressource gesehen.
- Folge: Fehlende Diversität in der Lösungsentwicklung, geringe Akzeptanz bei der Umsetzung.
3. Confirmation Bias
- Beschreibung: Es werden nur Informationen gesucht oder gewichtet, die bestehende Annahmen bestätigen.
- Beispiel: Projektziele werden so formuliert, dass sie politische Vorgaben stützen – nicht unbedingt den tatsächlichen Bedarf.
- Folge: Verzerrte Entscheidungsgrundlagen und ineffektive Maßnahmen.
4. Expert:innen-Bias
- Beschreibung: Übermäßiges Vertrauen in Fachwissen einzelner Personen oder Abteilungen.
- Beispiel: IT-Projekte werden ohne Einbindung der Endnutzer:innen geplant, weil „die Technik das schon regelt“.
- Folge: Lösungen, die an der Lebensrealität der Nutzer:innen vorbeigehen.
5. Planungs-Bias
- Beschreibung: Unterschätzung von Aufwand, Zeit und Risiken – oft aus politischem Druck oder Wunschdenken.
- Beispiel: Großprojekte mit unrealistischen Zeitplänen und Budgets (z. B. BER-Flughafen).
- Folge: Verzögerungen, Kostenexplosionen, Vertrauensverlust.
6. Regelungs-Bias
- Beschreibung: Überbetonung von Vorschriften und Formalien gegenüber inhaltlicher Wirksamkeit.
- Beispiel: Projekte werden so geplant, dass sie „verordnungskonform“ sind – nicht unbedingt wirkungsvoll.
- Folge: Bürokratische Lösungen ohne gesellschaftlichen Mehrwert.
7. Politischer Bias
- Beschreibung: Projektentscheidungen werden stark von parteipolitischen Interessen beeinflusst.
- Beispiel: Fördermittel werden bevorzugt in Wahlkreise gelenkt, die politisch relevant sind.
- Folge: Ungleichverteilung von Ressourcen, Legitimitätsverlust.
Diese Bias wirken oft subtil – sie sind Teil der organisationalen Kultur. Umso wichtiger ist es, sie im Projektmanagement bewusst zu reflektieren, insbesondere in der Initialisierungs- und Designphase. Hier werden Weichen gestellt, die später schwer zu korrigieren sind.
Tipp: Nutze strukturierte Reflexionsformate, externe Perspektiven und diverse Projektteams, um blinde Flecken frühzeitig zu erkennen und zu adressieren
Haltung gestalten – statt nur Interfaces
Wer gestaltet, trägt Verantwortung. Für Atmosphäre. Für Ästhetik. Für Wirkung.
Bias lässt sich nicht vollständig vermeiden – aber sichtbar machen. Für alle, die mehr fühlen, ist das der erste Schritt zu echtem Ausdruck. Ob im Produktdesign, in der Kommunikation oder im Projektmanagement: Bewusstsein für Bias ist kein Trend, sondern ein ethisches Ideal.
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